Viamonda Reisejournal

Irland – die grüne Insel

Eine Liebeserklärung

Gruppenreise – das Wort hat einen Beigeschmack: Man denkt an ermüdende Carfahrten, Kaffeehalt, WC-Stopp, an Menschen, die wie Schafe hinter dem Reiseleiter hertrotten. Die Reisebranche kennt die alten Vorurteile, spricht denn auch lieber von «begleiteten Erlebnisrundreisen» oder «Reisen in guter Gesellschaft». Und diese Reisen sind, allen Individualismustendenzen zum Trotz, so gefragt wie nie.

«Geteilte Freude ist doppelte Freude», sagt Pascal Wieser, Geschäftsführer von Vögele Reisen (gehört zur Schweizer Twerenbold-Gruppe). Gerade im Alter, wenn das soziale Umfeld nach der Pensionierung kleiner wird oder der Partner gestorben ist, schätze man es, in passender Gesellschaft zu reisen. Der Gruppenreisende ist meist über 50 Jahre, «wenn man etwas bequemer wird, Wert auf Komfort legt und gewisse Dinge delegieren möchte».

Der Reiseleiter muss die Menschen gerne haben

Das meistgebuchte Vögele-Angebot ist die 11-tägige Vietnam-Rundreise. Geselligkeit, vor allem aber auch die Wissensvermittlung sprechen für Gruppenreisen, sagen die Veranstalter. Sich gründlich auf eine Reise vorzubereiten, dazu fehlen oft Zeit und Lust. Das übernimmt der Reiseleiter. Vermittler zwischen den Kulturen, ein Multitalent, «der den Hebel findet, wenns irgendwo klemmt», sagt Wieser. Ein «Geschichtslexikon» aber müsse er nicht sein, am wichtigsten sei, dass er die Menschen gerne habe. Reise- und lebenserfahrene Menschen, die etwas zu erzählen haben, wie etwa die Vögele Reiseleiterin Doris Brüderlin. Unzähligen Schweizern haben sie die Welt gezeigt.

Doris BrüderlinDoris Brüderlin ist Irland Fan und Reiseleiterin von Vögele Reisen AG

Doris Brüderlin schwärmt von Irland

Und dabei ihre eigene Destination gefunden: Doris Brüderlin schwärmt von Irland. Sie hat die Welt gesehen und zählt auf: «Indien, China, Vietnam, Burma, Indonesien, Nepal, Australien- Neuseeland, Brasilien, viele Male Namibia, Südafrika . . .» Während Monaten lebte sie auf den Malediven, Zypern, Fuerteventura oder in Tunesien, wo sie Schweizer Gäste betreute.

Stets in sonnenverwöhnten Ländern, hängen geblieben aber ist sie in Irland, seit vier Jahren wohnt sie in Dublin: «Ich war überall, aber nur in Irland hat für mich alles gestimmt», sagt die 50-jährige Winterthurerin. Ihre Stimme bricht, sie wischt sich eine Träne weg, «wenns um Irland geht, werde ich immer emotional», entschuldigt sie sich.

Dingle Peninsula, IrlandDingle Peninsula, Irland

Verliebt in Irlands Menschen und Mythen

«Dieses Grün, dieses Raue – Gummistiefel, Windjacke, man ist den Elementen ausgesetzt.» Und der Humor der Iren, fährt sie fort, «man hats immer lustig, egal wo». Und natürlich die Musik! Sie erzählt vom schönen alten Pub mit Livemusik.

Jede Gruppe schleppe sie in diesen Pub – «und alle singen mit». «Molly Malone», die Hymne von Dublin, soll jeder Gast auswendig kennen. Sie verteilt den Text jeweils im Car, auf den Fahrten durch die Moorlandschaften, entlang der Klippen wird gesungen. Ja, so eine Irland- Reise sei eine gesellige Sache. «Mythen, Legenden und grandiose Landschaften – spannende Begegnungen mit Mensch und Schaf», wirbt Vögele für die Grosse Irland-Rundreise, die Nordirland und Irland kombiniert.

Warum reist man hier in Gruppen?

Sie spricht wetterfeste Leute ab 50 Jahren an. Warum reist man hier lieber in der Gruppe? «Manche trauen sich den Linksverkehr nicht zu», weiss Brüderlin, «andere haben Mühe mit dem Englisch.» Grundsätzlich habe eine Gruppenreise nur Vorteile, findet sie, «auch wenn man anfangs vielleicht nicht dazugehören will». Sie holt die Gäste am Flughafen von Dublin ab, man ist sofort per Du.

Entscheidend sei, dass man den Schweizer Gast auf die kommende Woche vorbereite. Zum Beispiel darauf, dass es jeden Abend Kartoffeln, «mashed potatoes», geben werde. Am liebsten hören die Schweizer Gäste Geschichten und Informationen aus dem irischen Alltag. Wie viel verdient man hier? Pensionskasse? Arbeitslosigkeit? Krankenkasse? – diese Fragen kommen immer zuerst.

Slieve League, IrlandSlieve League, Irland

Meine Gäste sollen richtige Irland-Fans werden

Was ist typisch für den Schweizer Touristen? «Der Schweizer kommt nie zu spät, nie!» Und der Schweizer legt Wert auf ein frühes Abendessen, «sieben Uhr ist ideal». Sie setze sich immer als Letzte an den Tisch, achte darauf, dass sie zu allen Gästen Kontakt pflege, «sonst kommt schnell Eifersucht auf». Dass es in Irland mal regnet, wissen alle, «heikel wirds, wenn es ein paar Tage hintereinander regnet». Sie erinnert sich: «Ein Gast hat mich wegen des Regenwetters total zusammengestaucht.»

Die Sitzverteilung im Car birgt ebenfalls Konfliktpotenzial. Jeder will vorne sitzen, wo die Aussicht am besten ist, wo man Gespräche zwischen der Reiseleiterin und dem irischen Fahrer mitbekommt. Deshalb werden die vorderen Sitze täglich neu verteilt. Doris Brüderlin gestaltet den Tag vom Weckruf bis zum Abendessen.

Sie übersetzt die Speisekarte, ermuntert dazu, den Blackpudding (Blutwurst) zum Frühstück zu probieren. Sie achtet darauf, dass unterwegs genug freie Zeit am Meer oder zum Lädele bleibt – und weiss, wo man die beliebten Wollpullover preiswert kauft. «Ich tue mein Bestes, dass meine Gäste als richtige Irland-Fans nach Hause fliegen.» Und sie sei bei jedem Abschied glücklich, dass sie auf der Insel bleiben dürfe.

Von Chris Winteler, Sonntagszeitung

Foto: Doris Brüderlin (von Esther Michel, Sonntagszeitung)

Alle Beiträge